Positionspapier
Ursachen und Folgen der Flüchtlingskrise - und was zu tun ist
I.
Derzeit erleben wir die größte Krise des politischen Systems Deutschlands und der EU
seit der Wiedervereinigung. Die Träger dieses Systems, die politischen Parteien, die
Publizisten in den traditionellen Medien und dem Internet, sowie die kulturellen Eliten des
Landes mit den Organen der Zivilgesellschaft sind offensichtlich außerstande, den
Herausforderungen der Krise zu entsprechen. Obwohl sich eine große Zahl engagierter
Menschen bemüht, die Erstversorgung der ins Land drängenden Flüchtlinge und
Migranten zu gewährleisten, sind die Kommunen mit ihrer Unterbringung überfordert und
die Sicherheitsorgane sind - wie die Kölner Silvesternacht zeigt - außerstande, die
öffentliche Ordnung und die Kontrolle der Zuwanderung zu gewährleisten.
Gleichzeitig wird das rechtsradikale Potential, welches in der Größenordnung von bis zu
20 % in allen europäischen Gesellschaften existiert, durch die Krise mobilisiert, was sich
im Anwachsen rechtspopulistischer Parteien (nicht nur der AfD) bis hin zu Anschlägen
gegen Flüchtlingsheime ausgehend vom extremistischen Rand niederschlägt. Die
normale Bevölkerung wird durch die Entwicklung polarisiert, bestenfalls verunsichert, und
wendet sich von den angebotenen Deutungsmustern in Funk und Fernsehen ab -
abenteuerliche Verschwörungstheorien im Internet und den sozialen Medien finden
ebenso Resonanz wie nationalistische und fremdenfeindliche Hassparolen.
Vor diesem Hintergrund überschlägt sich die Medienmaschine mit immer neuen
hysterischen Lösungsvorschlägen und ergeht sich in der Aufplusterung der Differenzen in
der politischen Klasse, die ihrerseits ungerührt von steigendem Problemdruck versucht,
ihre ritualisierten Positions- und Machtkämpfe zu pflegen und glaubt, mit der Errichtung
diskursiverTabus Meinungsführerschaft behaupten zu können.
In diesem Kontext ist die "Kölner Botschaft" ein allenfalls unzureichender Lichtblick, der
die entscheidende Frage - wie die "Einschränkung der unkontrollierten Zuwanderung"
erfolgen soll, zwar anspricht, aber unbeantwortet lässt. Selbstverständlichkeiten wie
keinerlei Tolerierung sexueller Gewalt, der Kampf gegen bandenmäßige Kriminalität, die
Aufklärung behördlichen Versagens und das Eintreten gegen fremdenfeindliche Hetze,
werden zu Hochämtern bürgerlicher Werte stilisiert.
Deutschland bleibe ein gastfreundliches Land, heißt es am Schluss der Kölner Botschaft.
Wohl an - dazu wollen auch die Freien Wähler Köln einen Beitrag leisten und konkrete
Vorschläge machen. Vorab wollen wir allerdings auch eine Selbstverständlichkeit
aufrufen, die etwas aus dem Blick geraten ist: die Rolle von Grenzen. Danach
beschäftigen wir uns mit einer Analyse des Parteiensystems, betreiben etwas
Ursachenforschung bezüglich der Krise und machen einige Vorschläge.
II.
Grenzen dienen auf der Welt seit undenklichen Zeiten der Trennung von drinnen und
draußen, von wir und ihr, von zugehörig und fremd und von unser und euer. Im
Binnenraum der EU glaubten wir nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Staatsgrenzen
dauerhaft überwunden zu haben. Das brutale Grenzregime des Kalten Krieges wünschen
sich nur wirre Minderheiten zurück. Demgegenüber teilen relevante Bevölkerungsteile die
Vorstellung, Grenzen seien grundsätzlich von Übel und müssten offen gehalten werden,
koste es was es wolle. Dabei sollte eigentlich klar sein, dass ein historisch über
Jahrhunderte gewachsener Sozialstaat nur existieren kann, wenn seine inneren
Funktionsbedingungen - wie Anspruchsberechtigte, Finanzierungsregeln,
Leistungsumfang usw. - klar abgegrenzt sind. Die grenzenlose Öffnung des Sozialraums
führt zu seiner Auflösung.
Sicherheit, kulturelle Identität und gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung war zu
allen Zeiten von der Fähigkeit der Staaten abhängig, ihre Grenzen zu kontrollieren.
Staatliche Souveränität und Grenzkontrolle sind zwei Seiten einer Medaille. Auch unter
den Bedingungen der EU können Binnengrenzen nur in dem Maße dauerhaft aufgegeben
werden, in dem es gelingt, die Außengrenzen zu sichern. Dies ist die conditio sine qua
non des Schengenraums.
Die Unfähigkeit der Südstaaten des Schengenraums (mit Ausnahme von Spanien), ihre
eigenen Grenzen als EU-Außengrenzen zu sichern, stand am Anfang des Prozesses, der
inzwischen zu einer Zuwanderung nach Deutschland von über 3.000 Menschen pro Tag
geführt hat. Die tiefer gehenden Ursachen dieses Prozesses sind anschließend ebenso
zu beleuchten wie die Rolle der deutschen Politik in ihm.
III.
Nach Angaben der UN sind weltweit etwa 60 Mio. Flüchtlinge auf der Suche nach
Sicherheit und einer neuen Existenz. Syrien hat 22 Mio. Einwohner, wovon 11 Mio. auf
der Flucht sind. Davon sind 6 Mio. Binnenflüchtlinge und ca. 5 Mio. befinden sich im
Libanon, in Jordanien und der Türkei. Wie groß ihre Zahl unter den ca. 1,2 Mio.
Zuwanderern nach Deutschland ist, vermag niemand zu beziffern, da nicht nur Syrer
einreisen, sondern auch Afghanen, Inder, Pakistaner und inzwischen verstärkt
Nordafrikaner. Die Fluchtursachen werden gleichzeitig nicht kleiner sondern größer. Die
Bürgerkriege in Syrien, Libyen und im subsaharischen Afrika dauern an bzw. weiten sich
aus. Der Westen mit seinen postheroischen Gesellschaften ist ebenso wenig wie
Russland mit seiner gefährdeten Ökonomie in der Lage, den IS zu zerschlagen. Trotz
vorhandener Erfolge wächst die Fähigkeit des IS, mit zentral gesteuerten Kommandos -
eingeschleust über den Flüchtlingsstrom - überall in Europa mit Angriffen auf "weiche
Ziele" seine Terrortätigkeit fortzusetzen und Europas Gesellschaften zu destabilisieren.
Der nächste größere Anschlag ist nur eine Frage der Zeit.
Der Überschuss an Massen perspektivloser junger Männer - nicht nur in der islamischen
Welt, sondern auch in fast allen Ländern Afrikas - führt dort zu zerfallenden Staaten bzw.
diktatorischen Regimen. Weder Deutschland noch die EU sind mit ihren Macht- und
Finanzmitteln imstande, die Ursachen von Wanderungsbewegungen zu beseitigen.
IV.
Am Ausgangspunkt der Zuwanderungskrise stand die Kürzung der Unterhaltungsmittel in
den Flüchtlingslagern Libanons, Jordanien und der Türkei. Vorher waren die
Flüchtlingszahlen nach Italien (Lampedusa) und Malta kontinuierlich angestiegen.
Lediglich Spanien gelang es, durch Vereinbarungen mit Marokko sowie maritime und
Grenzschutzmaßnahmen vor den Kanaren und den spanischen Enklaven in Marokko den
Zustrom zu stoppen.
In dieser Situation wurde im Sommer des vergangenen Jahres die so genannte
Balkanroute über Ungarn zum bevorzugten Weg der Zuwanderer und Kriegsflüchtlinge
nach Europa. In Belgrad und Budapest lagerten die Ankömmlinge in Parks und
Bahnhöfen und versuchten, über Autobahnen zu Fuß nach Norden zu gelangen.
Nachdem Anfang September die Situation in eine humanitäre Katastrophe einzumünden
drohte, öffnete die Bundesregierung nach vorheriger Untätigkeit in Abstimmung mit
Österreich ihre Grenzen für die Flüchtlinge und Migranten. In einer großen
Kraftanstrengung gelang es mit Unterstützung hilfsbereiter Bevölkerung
(Willkommenskultur am Münchner Hbf), in kürzester Zeit zehntausende Flüchtlinge und
Migranten mit Obdach, Kleidung und Nahrung zu versorgen. Auch ohne Klärung ihres
aufenthaltsrechtlichen Status erhalten die Ankömmlinge die dem Niveau des deutschen
Sozialstaates entsprechenden Existenzmittel.
Die Freien Wähler haben in Köln, das inzwischen offiziell mehr als 12.000 Zuwanderer
aufgenommen hat, sich für deren angemessene Unterbringung auch unter den
Bedingungen ständiger Improvisation eingesetzt. Sie haben bei Sportvereinen und
Schulen für die Hergabe von Turnhallen um Verständnis geworben und sind
fremdenfeindlicher Propaganda auch im Oberbürgermeister-Wahlkampf entgegen
getreten. In den Debatten im Rat haben sie sich aber auch gegen Forderungen nach
abstrakten Unterbringungsstandards gewandt und sind früh dafür eingetreten, die
Belastung der einheimischen Bevölkerung durch die Zuwanderung zu begrenzen. Sie
haben darauf aufmerksam gemacht, dass die Integration der stetig steigenden Zahl von
zuwandernden Menschen in die Gesellschaft eine große Herausforderung sein würde und
hatten wenig Verständnis für diejenigen politischen Vertreter, die in idealistischer
Verklärung die Zuwanderung als Glücksfall für die multi-kulturelle Zukunft Deutschlands
sehen wollten.
V.
Im weiteren Verlauf des Jahres 2015 entstand durch die nationale und internationale
mediale Verarbeitung der Grenzöffnung aus humanitären Gründen eine von Push- und
Pull-Effekten angetriebene Sogwirkung, die den Strom der Zuwanderer stetig
anschwellen ließ, ohne dass in den Wintermonaten bis in den Januar 2016 ein relevanter
Rückgang erkennbar wäre. Im Inland hat dieser Vorgang, der inzwischen die innere
Kohärenz der Gesellschaft bedroht, neben den Wirkungen im rechten und
rechtsextremen Teil des politischen Spektrums zu ziemlichen Verwerfungen geführt. Die
Regierungsparteien sind erheblichen Belastungen ausgesetzt, die sich in massiven
öffentlichen Differenzen zwischen CDU und CSU, aber auch in sichtbaren
Zerfallsprozessen innerhalb der SPD (Demonstrationsanmeldung Essener Ortsvereine)
manifestieren. Ungeteilte Zustimmung erfährt die Protagonistin der Flüchtlingspolitik, die
Kanzlerin, mit ihrem Mantra "Wir schaffen das " lediglich bei den Oppositionsparteien, die
ungerührt offene Grenzen propagieren und jeden gegenteiligen Lösungsvorschlag als
halbfaschistischen Übergriff denunzieren.
Im europäischen Ausland hat sich die Bundesregierung mit ihrer Flüchtlingspolitik isoliert.
Schon früh erklärte der britische Politologe Anthony Glees, Deutschland verhalte sich wie
ein Hippie-Staat, der sich von Gefühlen leiten lasse. Auf der Balkanroute wurde von
Griechenland bis Österreich ein Durchleitungsmechanismus für die Zuwanderer nach
Deutschland installiert. Ungarn hat inzwischen seine Grenzen geschlossen, ebenso wie
Schweden und Dänemark. Österreich hat eine Obergrenze für Flüchtlinge festgelegt.
Die Bundesregierung versucht neuerdings mit Blick auf die Landtagswahlen am 13. März
hektisch im Rahmen einer europäischen Lösung etwas zu erreichen. Gescheitert ist dabei
der Versuch, 160.000 Flüchtlinge auf die EU-Staaten zu verteilen. Ebenso wenig
funktioniert die Einrichtung von Aufnahmezentren (Hotspots) in Griechenland, vor dessen
Küsten täglich Dutzende von Menschen ertrinken. Gleichzeitig wird von dem Land die
Tätigkeit der verstärkten europäischen Frontex-Organisation vor seinen Inseln kaum
unterstützt und seine eigene Marine (eine der stärksten Europas) liegt untätig in ihren
Stützpunkten. Statt dessen organisiert eine mittlerweile eingespielte Organisation den
Transport der Flüchtlinge umgehend von den Inseln an die mazedonische Grenze. Dieses
Geschäft dürfte ähnlich profitabel sein wie der Seetransport durch türkische
Schlepperbanden. Eine von der EU der Türkei bereits im vergangenen Dezember in
Aussicht gestellte Finanzhilfe für die Verbesserung der Lage der Bürgerkriegsflüchtlinge
in Höhe von 3 Milliarden Euro fließt nicht - weshalb sich an den Verhältnissen nichts
ändert. Schweden, Norwegen und Finnland haben derweil die Rückführung von
insgesamt 120.000 abgelehnten Asylbewerbern beschlossen.
VI.
Trotz der hektischen Verabschiedung von neuen Gesetzen zum Aufenthaltsrecht und der
gleichzeitigen Verzögerung des Asylpakets II nach den aufrüttelnden Ereignissen der
Kölner Silvesternacht zeigt sich, dass es nicht gelingt, die administrativen
Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Zugewanderten und Flüchtlinge zu erfassen
und ihren Aufenthaltsstatus zu bestimmen. Letzteres wäre die Voraussetzung für einen
anlaufenden Integrationsprozess. Es gibt keinen Datenabgleich zwischen den beteiligten
Behörden und erst Mitte Februar soll mit der Einführung eines bundeseinheitlichen
Flüchtlingsausweises begonnen werden. Teilweise ist dies mit den Kapazitätsgrenzen der
administrativen Apparate zu erklären, die durch den stetigen weiteren Zuzug allmählich
mit der Grundversorgung der Menschen überfordert sind. Es hat aber auch damit zu tun,
dass die politische Führung auf allen Ebenen unfähig ist, die Einstufung der
Zugewanderten im Kontext der Kategorien Asylsuchende, subsidiär Schutzbedürftige und
Flüchtlinge nach der Genfer Konvention an den verschiedenen Stationen der Einreise von
der Grenze bis zur gemeindlichen Unterbringung in ein geordnetes Verfahren zu bringen.
Es bestehen im Lande auch kaum Vorstellungen, wie der notwendige Integrationsprozess
- wenn er denn mal anliefe - von mehr als einer Million Menschen aus einem anderen
Kulturkreis, die kein Deutsch können und von denen eine große Zahl Analphabeten sind
(genaue Daten liegen nicht vor), vonstatten gehen soll. In den klassischen
Einwanderungsländern erfolgt Integration über Arbeit - in unserem Land hatten wir zu
Beginn der Zuwanderung etwa 3 Millionen Arbeitslose und Langzeitarbeitslose. Allein um
die 300.000 Kinder der Zugewanderten zu beschulen, benötigt man mindestens 15.000
zusätzliche Lehrer, wobei das Deutschlernen der Erwachsenen noch gar nicht
angesprochen ist. Der Bedarf an bundesweit jährlich zu bauenden neuen Wohnungen für
die Alteingesessenen und Zuwanderer wird von der Beratungsgesellschaft Empirica mit
361.000 und vom Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft mit 430.000 Wohneinheiten
beziffert. Selbst wenn die Kapazitäten der Bauwirtschaft dafür ausreichen würden, scheint
völlig unklar, wie z.B. in Köln die früheren Fehler mit Siedlungen wie Chorweiler, dem
Kölnberg oder Finkenberg vermieden werden könnten.
Neben den gewaltigen Kosten für die Aufgaben (Schätzungen z.B. von Prof. Bernd
Raffelhüschen gehen langfristig von 900 Milliarden Euro aus und das Institut für
Weltwirtschaft kalkuliert bei 1,4 Mio. neuen Flüchtlingen für dieses Jahr mit 25,7
Milliarden Euro, ausgehend von 13.000 Euro pro Flüchtling) muss klar sein, dass der
Integrationsprozess Jahrzehnte dauert und von unangenehmen Erscheinungen begleitet
werden wird. Die Konkurrenz der sozialschwachen Alteingesessenen am Arbeits- und
Wohnungsmarkt mit den Zuwanderern wird ebenso wenig wie die Aussichtslosigkeit für
die alleinreisenden 30 bis 35jährigen Zuwanderer, jemals einen Anspruch auf
eigenständige Alterssicherung zu erreichen, für entspannte gesellschaftliche Verhältnisse
sorgen.
VII.
Um mit der eingetretenen Lage umgehen zu können, bedarf es einer abgestimmten
Strategie staatlichen Handels auf allen Ebenen. Die Freien Wähler konzentrieren sich
dabei auf die kommunale Ebene, haben aber auch genaue Vorstellungen darüber hinaus.
Es gibt allerdings keine einfachen Lösungen, kein Schalter kann umgelegt werden und
alles ist gut. Nur ein Bündel von Maßnahmen - mit Energie und Tatkraft in Angriff
genommen - wird auch zeitnah zu Ergebnissen führen. Eine Strategie der Begrenzung
des Zuzugs von Flüchtlingen muss in den nächsten 2 bis 3 Monaten zu spürbaren
Ergebnissen führen, wenn es gelingen soll, wieder politisches Vertrauen zurück zu
gewinnen. Nur eine rasche und wirksame Zuzugsbegrenzung eröffnet den mit der
Flüchtlingsversorgung befassten Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden (aber auch
den freiwilligen Helfern) die Entlastung, die notwendig ist, jene Infrastruktur aufzubauen,
die eine unabdingbare Voraussetzung für die Integration ist. Derzeit sitzen Massen von
Flüchtlingen - insbesondere junge Männer - taten- und perspektivlos in Notunterkünften
und erhalten weder Sprachkurse geschweige denn Arbeitsmöglichkeiten, während die
Zeit davon läuft. Eine Diskussion um abstrakte Obergrenzen ist in diesem
Zusammenhang wenig zielführend, wenngleich eine Richtgröße in der von der CSU
vorgeschlagenen Höhe realistisch und kurzfristig erreichbar erscheint. Eine solche
müsste sich an den Aufnahmekapazitäten der Gemeinden orientieren. Dies gelingt
allerdings nur, wenn die Große Koalition mehr als bisher konkret handelt. Statt dessen
glaubt man, die hassgetränkten gezielten Schießbefehl-Provokationen der AfD ließen sich
mit Empörungsritualen bekämpfen. Mit der Androhung von Verfassungsschutz-
Beobachtung steigert man lediglich die Wut der Anhänger und treibt den kalt
kalkulierenden Drahtziehern die Hasen in die Küche. Dem Rechtspopulismus kann man
am besten den Boden entziehen, indem man mit einem starken Staat und der
Unterstützung der Zivilgesellschaft im Rahmen der EU, aber notfalls auch eigenständig,
eine von der Bevölkerung nachvollziehbare Strategie verfolgt.
Eine solche Strategie müsste enthalten:
- Eine Änderung der Regierungskommunikation ins Land und in die Welt.
Der Bundespräsident hat dazu auf dem Weltwirtschaftsforum eine Vorlage -
wenn auch noch im Konjunktiv - geliefert: "Eine Begrenzungsstrategie kann
moralisch und politisch sogar geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des
Staates zu erhalten. Sie kann auch geboten sein, um die Unterstützung der
Mehrheitsgesellschaft für eine menschenfreundliche Aufnahme der Flüchtlinge zu
sichern". Die Bundeskanzlerin hat dem eine eindeutige Aussage an die Adresse
der Flüchtlinge hinzugefügt: "Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien
ist, wenn der IS im Irak besiegt ist, dass Ihr auch mit dem Wissen, was Ihr Euch
erworben habt, in Eure Heimat zurückgeht". Dies sind Töne, die darauf
hindeuten, dass offensichtlich eine Wende in der Flüchtlingspolitik angestrebt
wird und ein Rendezvous mit der Realität bevorsteht. Die offensive
"Willkommenskultur" wird durch eine eher defensive Hilfskultur abgelöst. - Eine Abschaltung der materiellen Pull-Faktoren, die weltweit eine
Magnetwirkung in unser Land darstellen. Dazu gehören in erster Linie
ökonomische Anreize. Die von der Bundessozialministerin formulierte klare
Botschaft, dass Flüchtlinge ihr ganzes Können, ihre Arbeitskraft und ihr Vermögen
einsetzen müssen, um für sich und ihre Familien aufzukommen, muss schnellst
möglich geübte Praxis werden. Dazu kann ein Integrations-Fördergesetz helfen,
welches schnellstens vom Bundestag zu verabschieden ist. In erster Linie müssen
Arbeitsmöglichkeiten eröffnet werden. Zu einer weiteren Flexibilisierung des
Arbeitsmarktes - gegebenenfalls über eine Stichtagsregelung - muss den bereits
im Land befindlichen Asylbewerbern mit Bleibeperspektive, die dazu fähig sind,
sofort Arbeit verschafft werden. Daneben ist zu prüfen, ob mittelfristig
Barleistungen an Ankommende soweit wie möglich durch Sachleistungen ersetzt
werden können. - Eine lückenlose Erfassung und Registrierung aller Flüchtlinge und
Zuwanderer innerhalb der nächsten 5 bis 6 Wochen und die frühest mögliche
Ausgabe von Bundes-Flüchtlingsausweisen mit einem Datenabgleich zwischen
allen beteiligten Behörden. - Eine "Flüchtlingsanleihe", wie sie die französische Wirtschaftswissenschaftlerin
Hélèn Rey vorschlägt, mit der über Eurobonds, die EU- und Nationalhaushalte
sowie die Europäische Investitionsbank ein Sondervermögen in Höhe von 30 - 50
Milliarden Euro gebildet wird. Damit sollen die europäischen Außengrenzen
gesichert werden - Griechenland z.B. schafft es nicht, aus eigener Kraft
Aufnahmezentren (so genannte Hotspots) zu errichten. Die Mittel müssen darüber
hinaus für die innere Sicherheit und die Integration von Flüchtlingen
zweckgebunden sein. Ein Marshallplan für die Herkunftsländer der Flüchtlinge, wie
vom Bundesfinanzminister angeregt, könnte aus dem Vermögen ebenfalls
finanziert werden. Es sollte auch für die Verbesserung der Situation der Menschen
in den Lagern der Türkei, Jordaniens und des Libanon eingesetzt werden.
Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten vor Ort sind dabei wichtige
Stabilisierungsfaktoren. Deutschland muss mit "willigen" Partnern diese
Flüchtlingsanleihe begründen, wenn die EU-Prozesse dafür zu langsam sind. - Eine wirksame und ernsthafte Bekämpfung des Schlepperunwesens,
koordiniert und überwacht durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex,
muss mit Unterstützung der nationalen Grenzschutzbehörden aufgebaut werden.
Letztere müssen auf den wichtigen Fluchtrouten grenzüberschreitend
zusammenarbeiten, wenn sie Mittel aus den vorgenannten Finanztöpfen erhalten
wollen. Die Propaganda der Schlepper muss unterbunden werden, bzw. ihr
müssen die Außenvertretungen entgegenarbeiten. Ein Kurzbesuch des
Innenministers in Kabul reicht nicht. Die logistischen Knotenpunkte der
Schleppernetzwerke müssen außer Betrieb genommen werden. Zwischen
Deutschland und den Transit- und Herkunftsländern der Flüchtlinge müssen
schnellst möglich Rückführungsabkommen mit Rückkehrprämien abgeschlossen
werden. Von den griechischen Inseln müssen Migranten und Flüchtlinge ohne
europäische Aufenthaltsperspektive in die Türkei zurückgeführt werden. Die
Überwachung der Seegrenzen Europas, insbesondere zwischen Griechenland und
der Türkei, muss so ausgebaut werden, dass die von verbrecherischen
Menschenschmugglern betriebene ständige Gefährdung von Menschenleben
unterbunden wird. Solange man duldet, dass die Banden innerhalb kürzester Zeit
märchenhafte Millionengewinne machen und damit locker lokale Behörden aller Art
fürs Wegsehen schmieren können, bleibt den Frontex-Booten vor Ort nur die
Rettung der Flüchtlinge aus Seenot, die die Banden als Bestandteil ihrer
"Dienstleistung" zynisch einkalkulieren. Hier gibt es inzwischen erste Ansätze
durch Nato-Marineeinheiten zwischen türkischer Küste und griechischen Inseln. - Die Rückgewinnung der Kontrolle über die deutschen und europäischen
Grenzen. Nachdem das Schengenmodell faktisch außer Kraft ist, wird man sich
daran gewöhnen müssen, dass in Zukunft Grenzsicherungen sowohl an den EU-
Außengrenzen als auch dauerhaft an den Binnengrenzen stattfinden müssen. Die
EU-Staaten müssen dabei eng kooperieren, aber auch eigenständig handeln. Die
Rückgewinnung der Kontrolle über die eigene Grenze duldet keinen Aufschub.
Wer eine systematische Integrationsarbeit in unserem Land starten will, muss
deren Adressaten kennen. Offene Grenzen sind eine permanente Einladung an
den islamistischen Terrorismus. Grenzsicherung hat mit Schießbefehl-
Phantastereien nichts zu tun, wie in der hysterischen deutschen Debatte unterstellt
wird. In einem Rechtsstaat gilt für alle bewaffneten Organe das Gebot der
Verhältnismäßigkeit und der Respekt vor dem Leben. Auch in anderen Teilen der
Welt existieren Grenzzäune, ohne dass dort Menschenrechte aufgehoben sind.
Sollte mit Griechenland und der Türkei keine schnelle Einigung erreicht werden,
muss die EU Anstrengungen unternehmen, vor einer deutschen Grenzschließung
die Schengen-Grenze auf dem Balkan zu sichern bzw. Mazedonien bei der
Überwachung seiner Grenze zu Griechenland zu unterstützen. Mit einer solchen
abgestimmten Aktion wird ein Rückstau von Flüchtlingen auf dem Balkan
vermieden - alle dort befindlichen müssen nach der Grenzsicherung in Kroatien
oder Mazedonien wie gehabt noch von Deutschland aufgenommen werden. Nach
der Wiederherstellung der Kontrolle über die Grenzen können in den vorgenannten
Größenordnungen Kontingente von Flüchtlingen, die nach humanitären Kriterien
ausgewählt werden, ohne Gefahr für Leib und Leben nach Deutschland und
Europa kommen. Nach der Schaffung entsprechender Voraussetzungen zur
Integration in den Gemeinden und Städten könnte so ein geregelter Zugang
wirklich Hilfsbedürftiger geschaffen werden.
VIII.
Bestandteile dieser Strategie müssen in NRW und in der Stadt Köln abgestimmte
Programme sein, um den Integrationsprozess einzuleiten, aber auch gleichzeitig weiterhin
benachteiligten alteingesessenen Bevölkerungsgruppen helfen zu können.
Das Land NRW muss daher:
- zügig die Einstellung von Polizisten finanzieren, um bei der Quote von Polizisten
auf 1000 Einwohner wenigstens die des Freistaates Bayern zu erreichen; - ein Sonderprogramm zur schnellen Gewinnung von Seiteneinsteigern in den
Lehrerberuf nach früheren Vorbildern ("Mikätzchen") auflegen und damit die
Voraussetzung für die Beschulung von Flüchtlingskindern schaffen; - ein Bauprogramm für die schnelle Errichtung von Schulerweiterungsbauten und
Wohnungen schaffen und dazu Baustandards vereinfachen, Vorschriften
aussetzen und über seine Gesellschaften (LEG) Flächen bereitstellen; - in Abstimmung mit dem Bund den Gemeinden die Aufwendungen für die
Versorgung von mittellosen EU-Ausländern erstatten (mindestens 1.000 € pro
Flüchtling und Monat statt wie bisher 525 €); - gemeinsam mit dem Bund den so genannten Königsteiner Schlüssel unter
Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände überarbeiten und dabei ein
Moratorium für Ballungszentren und soziale Brennpunkte einbeziehen; - systematisch Sprachkurse über die Volkshochschulen und private Träger für die
erwachsenen Zuwanderer finanzieren und damit die Voraussetzungen schaffen,
sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren; - abgelehnte Asylbewerber, Zuwanderer aus sicheren Drittstaaten und straffällig
gewordene Aufenthaltsberechtigte müssen zügig in ihre Herkunftsländer bzw.
sichere Transitstaaten zurückgeführt werden.
Das Land soll seine Verhandlungen mit dem Bund über eine Wohnsitzauflage für
Flüchtlinge zügig abschließen. Sie wird allerdings nur durchsetzbar sein, wenn die
Registrierung der Flüchtlinge nach wiederhergestellten Grenzkontrollen erfolgt ist.
Danach können den Betreibern von Flüchtlingseinrichtungen auf der Grundlage
rechtlicher Festlegungen Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten auferlegt
werden, die von den Bezirksregierungen zu beaufsichtigen sind.
IX.
Die Stadt Köln als Ballungszentrum mit ca. 12.000 registrierten Flüchtlingen muss in den
nächsten Jahren wesentliche Teile ihrer Ressourcen auf die Integration der Flüchtlinge
verwenden. Dies muss sie tun, ohne ihre sonstigen Aufgaben für die Stadtgesellschaft -
insbesondere für sozial benachteiligte Alteingesessene - zu vernachlässigen.
Die Stadt Köln muss daher:
- ihre Haushaltsplangestaltung so vornehmen, dass unter Einbeziehung von
Bundes- und Landesmitteln alles getan werden kann, um eine erfolgreiche
Integrationspolitik sicher zu stellen. Dabei darf sie vor den aktuellen
Haushaltsdefiziten nicht kapitulieren, sondern muss weiterhin eine solide
Finanzpolitik anstreben. Alle Großprojekte, deren Realisierung mit Haushaltsrisiken
verbunden sind - wie z.B. die "neue historische Mitte" - müssen zurückgestellt
werden. Bei eingeleiteten Großvorhaben ist zu prüfen, ob deren zeitliche
Streckung über mehrere Bauabschnitte wirtschaftlich ist. Dies gilt z.B. für das
desaströse Opernprojekt und die III. Stadtbahnbaustufe; - Mittel in eine nachhaltige Integrationspolitik investieren, um mit
Schulerweiterungsbauten, Schulsozialarbeit, zusätzlichen Kindergartenplätzen und
Sprachkursen für Erwachsene etc. konkrete Angebote zu schaffen; - Abstimmung mit IHK, Handwerkskammer, Freien Trägern und Arbeitsagentur
Ausbildungsplätze und eine Art kommunalen Dritten Arbeitsmarkt mit
ausreichenden Angeboten für Flüchtlinge schaffen. Die Bereitschaft der
Flüchtlinge, diese durch eigene Anstrengungen erfolgreich zu nutzen, soll durch
systematisches "Fördern und Fordern" erreicht werden. Wer nach drei Jahren
Arbeitsangebote nicht annimmt bzw. straffällig geworden ist, muss das Land
verlassen; - das System der Notaufnahmeeinrichtungen muss bis zum Frühjahr aus den
städtischen Turnhallen heraus in stabile Leichtbaueinrichtungen verlagert
werden. Die Sportvereine dürfen nicht länger in ihrer Existenz gefährdet werden,
sondern sollen wieder ihre Integrationsfunktion erfüllen können; - mit ihrer Wohnungsgesellschaft, aber auch mit der des Landes, und privaten
Investoren ein schnell wirkendes Wohnungsbauprogramm für Flüchtlinge und
alle anderen auflegen. Dabei ist zu prüfen, in wie weit mit reduzierten Standards
(Verzicht auf Keller und Aufzüge, vorgebaute Treppen statt innerer Treppenhäuser,
vereinfachte Heizungsinstallation und effektivem Elektro- und Wasserleitungsbau
etc.) schnell preiswerter Wohnraum geschaffen werden kann. Die Stadt muss im
Innenstadtbereich Grundstücke bereitstellen (Aktivierung des
Baulückenprogramms) und auf jeden Fall für eine soziale Durchmischung der
Neubaugebiete sorgen. Innenstadtnahe Entwicklungsgebiete, wie die "Parkstadt
Süd", "Mülheim Süd" oder der "Deutzer Hafen", müssen auf diese Weise vorrangig
vorangetrieben werden. Siedlungen auf der grünen Wiese mit Ghetto-Potential
müssen unter allen Umständen vermieden werden; - mit Unterstützung der IHK und der Stadtsparkasse Existenzgründerprogramme
für Flüchtlinge auf den Weg bringen, um ihnen nach Eingewöhnung und
Spracherwerb den Weg in die Selbständigkeit zu ermöglichen; - auf der Grundlage des geplanten Integrationsgesetzes einen Integrationsfahrplan
erstellen. Dazu gehört auch eine stärkere Bürgerbeteiligung (wie bei
Stadtentwicklungsvorhaben) bei der Einrichtung und dem Betrieb von
Flüchtlingseinrichtungen. In den Einrichtungen müssen für die Bewohner
demokratische Vertretungs- und Beteiligungsorgane gebildet werden.
Die Freien Wähler Köln erwarten von den demokratischen Parteien, die auf allen Ebenen
staatlichen Handelns über eine unvergleichliche Gestaltungsmacht verfügen, dass sie
ihre Verantwortung für unser Land wahrnehmen. Die Freien Wähler sind bereit, auf der
kommunalen Ebene - ihrem eigentlichen Handlungsfeld - die vorbeschriebene
Begrenzungs- und Integrationsstrategie mit allen ihren Möglichkeiten als örtliche
Wählergemeinschaft zu unterstützen. Mit diesem Positionspapier, welches keinen
Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, wollen sie in ihren eigenen Reihen und in ihrem
Umfeld einen Beitrag zur Orientierung und Darstellung von realistischen
Handlungsoptionen in einer politischen Krisensituation leisten.
einstimmig beschlossen auf der Vorstandssitzung der Freien Wähler Köln
am 10. Febr. 2016